Klassik
Die in der Musik als Klassik bezeichnete Epoche fällt in eine Zeit großer und folgenschwerer Veränderungen, die keine Facette des gesellschaftlichen Lebens unberührt ließen. Der Glaube an den Fortschritt und die Wahrnehmung einer Beschleunigung erfasste die Menschen. Eine Welle an (natur-)wissenschaftlichen und technischen Entdeckungen veränderte den Alltag.
Die Ideen englischer, französischer und deutscher Philosophen stellten die menschliche Vernunft in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen und behaupteten, dass sich jeder Mann, jede Frau selbst dieser Vernunft bedienen könne. Sie wagten sogar die Religion zu kritisieren. Diese Strömung nennt man Aufklärung. Doch die meisten Menschen konnten weder lesen noch schreiben. Als Voraussetzung mussten erst das Bildungssystem modernisiert, die allgemeine Schulpflicht eingeführt, die Lehrerausbildung und die Universitäten reformiert werden. Aufgeklärte Herrscher holten sich Philosophen an ihren Hof und bemühten sich um Reformen für alle Untertanen, kontrollierten diese aber durch eine strenge Zensur. Revolutionäre Gedanken waren nicht mehr aufzuhalten.
Die Zeit um 1800 ist eine Zeit der „Revolutionen“, auch wenn manche Veränderung langsam vor sich ging: Bürgerlich/politische Revolution, Bildungsrevolution, Medien- und Kommunikationsrevolution durch die Verbreitung von Büchern und Zeitschriften, Mobilitätsrevolution, Ökologische Revolution (Umstellung auf fossile Energieträger), Industrielle Revolution, Agrarrevolution / Ernährungsrevolution.
Eine Gesellschaft freier und gleicher Menschen (ob Bürger, Handwerker, Bauern) war das Ziel der Französischen Revolution (1789). Das Herrschaftssystem in Frankreich wurde verändert, der König ermordet und eine Republik ausgerufen. Adelige duften keine Privilegien, Vorteile, mehr genießen, und ihren Prunk nicht mehr zur Schau tragen. Die Idee der Toleranz sowie die bis heute gültigen Menschen- und Bürgerrechte, die auch in die erste Verfassung des unabhängigen Amerika einflossen, ließen ein neues humanes Menschenbild entstehen. Die Ideen erfassten ganz Europa. Menschen schlossen sich zum Meinungsaustausch in Freundschaftsbünden, Vereinen, Clubs zusammen. Sie wollten am politischen Leben teilhaben und forderten für ihre Länder eine Verfassung und freie Meinungsäußerung in der Öffentlichkeit. Anhänger und Gegner der Revolution bekämpften sich.
In der Folge ergriff Napoleon Bonaparte die Macht in Frankreich und eroberte weite Teile Europas von Italien bis Russland in dem Wahn, Europa einigen zu können. Die Auseinandersetzung mit dem napoleonischen Frankreich förderte allerdings die Entwicklung vieler Staaten. Das Bewusstsein der eigenen Bedeutung, der Herkunft und Geschichte, der eigenen Sprache und Kultur führte zu Unabhängigkeitsbestrebungen und Nationalismus.
Im 19. Jahrhundert veränderten auch der Zuzug in die Städte, die Trennung von Arbeitsplatz und Wohnung, die Entstehung von Manufakturen (Betriebe), die Anfänge der Industrie (vor allem Kohle, Eisen) die Familien, die Gesellschaft und die Landschaft. Die weißen Flecken auf den Landkarte verschwanden mit der Entdeckung Australiens nach und nach, die weißen Flecken im eigenen Land wurden interessant und man erschloss sich die Berge (Anfänge des Alpinismus) und die Höhlen, die Bodenschätze, Tiere und Pflanzen. In eigens dafür eingerichteten Museen wurden Besonderheiten ausgestellt. Das Kutschenzeitalter wurde allmählich durch die Eisenbahn als neues Verkehrsmittel abgelöst, Dampfschiffe lösten die Segelschiffe beim Personen- und Warentransport ab. Es erschlossen sich neue Räume.
Ao.Univ.-Prof. Mag. Dr.phil. Marliese Raffler (Prof.)
Marliese Raffler ist Professorin am Institut für Geschichte an der Karl-Franzens-Universität Graz.
Für die sogenannte „Wiener Klassik“ (mit Haydn, Mozart und Beethoven als wichtigste Vertreter) bildete Wien den Entfaltungsraum und übernahm eine Vorrangstellung unter den europäischen Städten. Doch auch dort waren die Lebensbedingungen der einfachen Leute geprägt von Hunger, Missernten, miserablen hygienischen Verhältnissen, Krankheiten und Tod.